Himmelfahrt und Pfingsten

Der Himmelfahrtstag ist immer ein Donnerstag, da er am 40. Tag nach dem Ostersonntag seinen „Platz“ bekommen hat. (Es ist auch der Tag, an dem die Väter sich feiern und dann nennen wir diesen Tag Vatertag).
„Er lebt!“, so schallt der Osterjubel durch die Christenheit. Während vierzig Tagen erscheint der Auferstandene seinen Jüngern und Schülern. Mit der Himmelfahrt enden diese Erscheinungen. Weitere zehn Tage später – sieben mal sieben Tage nach Ostern, am 50. Tag /griech. Pentekoste) – werden die Jünger erfüllt von himmlischem, geistigem Feuer. Sie sind begeistert.
Das neue Leben des Ostersonntagmorgen, das Leben des Auferstandenen, das Leben der geistigen Sonne auf der Erde scheint sich, wenn wir den Aussagen der Bibel folgen, im Prozess zu realisieren. Das heißt: das „neue“, unsichtbare Leben, das aus dem Tod geboren wurde, durchdringt die Erdensphäre. Nach 40 Tagen beginnt es den Umkreis der Erde zu durchdringen und entzieht sich so der bisherigen Wahrnehmung der Jünger Christi. Sie scheinen ihn jetzt verloren zu haben. Vielleicht dürfen wir interpretieren: Eine gewaltige Krise durchdringt die Schülerschaft.
Ein apokryphes Evangelium schildert, wie der Auferstandene vom Himmelfahrtstage an jeden Tag bis Pfingsten einer himmlischen Hierarchie (Engelhierarchie) die Osterbotschaft bringt. Der Auferstandene durchsetzt Erde und Himmel. Wir dürfen dies vielleicht so verstehen, dass jetzt im Himmel und Erde der Keim gelegt ist, um nach dem Tod leben zu können; das Leben nach dem Leben. Christus ist die Auferstehung, doch wir (Erde, Himmel und Mensch) sind die Auferstehenden. Das heißt: es liegt in der menschlichen Freiheit und Aktivität, ob sich ein Leben nach dem Leben realisiert. Gemäß der Bibel sind die zehn Tage von Himmelfahrt bis Pfingsten eine Zeit, in der die Jünger im Haus und im Gebet, also in einer Zurückgezogenheit verbringen; der Osterjubel: er lebt und er lebt bei und mit uns, erstickt schlagartig.
Pfingsten: Die Flamme, die vom Himmel kommt
Zehn Tage nach Himmelfahrt, es ist der 50. Tag nach Ostern, begehen wir Pfingsten. Das Pfingstbild ist die Flamme, die vom Himmel kommt, sich teilt und sich verteilt auf die Häupter der versammelten Jünger. Im Teilen wird die Flamme vervielfältigt und bleibt trotzdem vollständig. Ein Bild, bei der eine Gemeinschaft von oben (Himmel, Flamme) begründet wird, die deshalb eine Gemeinschaft ist, weil jeder gleichermaßen die Flamme hat. Das Gemeinsame ist individuell geworden und trotzdem Gemeinsames geblieben. Nachdem jeder Einzelne durchdrungen und erfüllt wurde von der Flamme, vom Christusgeist, geht er jetzt an und in die Öffentlichkeit und redet aus vollem Herzen. Der einheitliche Geist findet Ausdruck in verschiedenen Sprachen, so dass jeder Mensch („aus allen Völkern unter dem Himmel“) sich angesprochen und verstanden fühlt.
Menschen aus jedem Volk unter dem Himmel sind in Jerusalem versammelt. Jeder hört die Begeisterten in seiner Sprache reden von den „Großtaten Gottes“. Die einen fragen: „Was soll das bedeuten?“, die anderen dagegen spotten: „Sie sind voll süßen Weines.“ Bis zu diesem Zeitpunkt haben wir es mit Gottes Handeln mit und an dem Menschen zu tun. Wir sind die Empfangenden und haben empfangen. Mit Pfingsten wenden sich die Verhältnisse um. Dasjenige, was wir empfangen haben – die Liebe zu jeder Kreatur, die Liebe zu jedem Menschen tragen wir in die Welt: die Welt segnend und heilend, der Sonne gleich.
Vom Mittelalter an bis weit in die Neuzeit wurden öffentliche Festivitäten (Ritterkämpfe/Tjoste, Schützenfeste u.a.) mit Pfingsten begonnen – nicht vorher.
Die Pädagogik könnte zum Ideal haben: die Begegnung eines kleinen Menschen mit einem großen Menschen so zu suchen, dass für einen Augenblick die Liebe in der Begegnung leben kann zum Segen und Heil für beide. Eine pädagogische Einrichtung könnte eine Gemeinschaft von Menschen sein, wo vom Anblick des Gebäudes über das Anfassen der Türklinke bis zum Blickkontakt mit den Pädagogen*innen und allen Umgangsformen und sozialen Formen sich ausspricht die Liebe zum Menschen. Diese Liebe haben wir nicht, sondern müssen wir täglich und alltäglich erringen und erlernen. In diesem Sinne könnte eine solche Einrichtung sich auch als lernende Organisation verstehen.
Fronleichnam
Fronleichnam, am zehnten Tag nach Pfingsten und daher immer an einem Donnerstag nur in katholischen Verhältnissen gefeiert, heißt: der Leib des Herrn. Der Auferstandene, das neue Leben wird in einer kultischen Form von den Menschen in die Natur getragen, gemäß dem Auftrag: Geht hinaus in die ganze Welt, und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen (Mk 16,15). Sollte dieser Satz so verstanden werden, dass wir aller Kreatur das Evangelium vorlesen und den Leib des Herrn, des Auferstandenen präsentieren (in der Monstranz)? Könnte dieser Auftrag vielleicht auch so verstanden werden: diejenigen Menschen, die, die Liebe in sich entwickeln wollen, lassen diese Kraft, Haltung und Erkenntnis der Erde, den Pflanzen, den Tieren und Menschen (unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe, Volk, Glauben) im Umgang mit uns erleben?
Verfasser: Uwe Dietrich