Was ist ein Trauma - ein traumatisches Erlebnis?

Der Schock
Wie ein plötzlicher, unvorhergesehener, blitzschneller Schnitt eine Wunde im Physischen verursacht, so verursacht ein Schock eine Wunde im Psychischen.
Ein plötzliches überwältigendes Ereignis, der Schock als traumatisches Erlebnis, lässt - im Gegensatz zum Stress bei z.B. einer gefährlichen Situation – weder Kampf noch Flucht zu. Es bleibt die Erstarrung: Der gesamte Organismus erstarrt.
Die Energien, die es für eine Flucht oder einen Kampf gebraucht hätte, bleiben – im Gegensatz zum Tier, das sich nach einer akuten Gefahr schüttelt, um überschüssige Energien abzugeben – im menschlichen Körper verhaftet: Dieser bleibt energiegeladen!
Menschen in dieser Phase
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stehen dauerhaft „unter Strom“
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befinden sich dauerhaft im „Einsatz der Alarmanlage“
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reagieren permanent, als seien sie in Gefahr, als würden sie bedroht und müssten sich deshalb wehren.
Auswirkungen eines Schocks auf die Gehirnfunktionen
Jeder Impuls/jeder Reiz gelangt über die Sinnesorgane ins Gehirn auf die Amygdala. Sie ist das erste Organ, das Sinneseindrücke verarbeitet. Sie ist aber auch die „Alarmanlage“ und prüft, ob der Reiz gefährlich ist. Wenn dies nicht der Fall ist, geht der Reiz weiter in den Cortex, wird dort verarbeitet und zurückgesendet. Da heraus wird eine entsprechende Bewegung, eine Reaktion des Körpers gesteuert.
Vom Schock zum Trauma
Wird die beschriebene plötzliche Erstarrung im Falle eines Schocks nicht durch eine notfallpädagogische Akutintervention unmittelbar aufgelöst und damit verbunden die „Alarmanlage“ nicht zurückgefahren, bleiben Erstarrung und Alarmbereitschaft bestehen.
Es entsteht ein kaum steuerbarer Kreislauf ... Erstarrung ... Hyperarousel ... Impulsdurchbrüche ... Gewaltspirale ... Selbstaufgabe ... Vertrauensverlust ... ANGST ... ÜBERLEBENSKAMPF
Dazwischen gibt es nur einen schmalen Bereich von Akzeptanz dessen, was auf mich zukommt, und meinem persönlichem Handlungsspielraum.
Je mehr Zeit verstreicht, bis es zu einer Bearbeitung des Schocks, des traumatischen Erlebnisses, im besten Fall zu dessen Auflösung kommt, entwickelt sich das Trauma zu gravierenden Folgestörungen.

Traumakategorien
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Einfache Traumata: Naturkatastrophen, Unfälle
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Entwicklungstraumata: aufeinander folgende traumatische Erlebnisse derselben oder unterschiedlicher Art in regelmäßiger Abfolge
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Verbale Traumata: Niedermachen, Beschimpfen, Bestrafen
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Beziehungstraumata: Je näher ein Mensch demjenigen steht, der ihn misshandelt, emotional missbraucht, bestraft, ausgrenzt, desto verletzender und nachhaltig wirkender wird das Trauma
Traumatypisierung
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Trauma Typ-1: Dieser liegt vor, wenn es sich um ein kurzes, akutes und begrenztes traumatisches Ereignis handelt, z. B. einen Unfall, der Tod eines nahen Angehörigen, ein Kriegserlebnis, Gewalt. Diese Traumata sind offensichtlich. Oft kommt es spontan zu Hilfen durch Gespräche oder Therapien. Besonders in Kriegen und bei Naturkatastrophen betrifft es nicht den einen Menschen allein, sondern ebenso die Familie und die Nachbarn. Hier bewahrheitet sich das Sprichwort „Geteiltes Leid ist halbes Leid“.
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Trauma Typ-2: Von diesem spricht man, wenn Menschen wiederholte und länger andauernde Bedrohungen, wie Gewalt durch nahestehende Menschen, erfahren, z. B. häufige familiäre Gewalterfahrungen, sich wiederholende Missbrauchssituationen, verbale Erniedrigungen und Entwertungen, Bestrafen, Ausgrenzen, Bedrohen, Vernachlässigungen oder Überversorgungen von Kindern, emotionaler Missbrauch.
Die Typ-2-Traumata sind
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oft schwerwiegender
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weniger offensichtlich
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meist tabuisiert und mit Scham besetzt
Welche Auswirkungen haben traumatische Erlebnisse auf das Verhalten von Kindern und Jugendlichen?
Wir sehen vielfältige Folgen:
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Lernstörungen
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seelische Dysbalancen
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Persönlichkeitsstörungen
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funktionelle Störungen der inneren Organe
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psychosomatische Störungen
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manifeste organische Erkrankungen
Die Ursache, die Traumatisierung, bleibt jedoch oft verborgen.
Symptome nach traumatischen Erlebnissen im Vergleich zu normaler Entwicklung:
Gesunde Entwicklung
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Selbstsicherheit, Selbstwertgefühl
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Koordination, Zielgerichtetheit
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In Bewegung und Bewusstwerdung
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altersgemäßes Wachstum
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Integrität
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Stabilität
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Gedächtnis
Schock / Trauma
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verminderter Selbstwert, Unsicherheit
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Verwirrung, Aufmerksamkeitsverlust
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Anpassungsschwäche, Kompensation durch exzentrisches Verhalten: Ängste, Zwänge, sozialer Rückzug, dissoziales Verhalten
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Wachstumsstörungen, Schlafstörungen, Zerstörung der Lebens-Rhythmen
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Verlust des Kohärenzgefühls, Dissoziation, Depersonalisation, Anpassungsschwäche
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Instabilität der Orientierung, Vertrauensverlust
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Zerbrechen des Persönlichkeitsmusters, zersplitterte Erinnerungen
Ein Trauma ist ein Zerreißen des Leib-Seele-Gefüges.
Ausführungen: Karin Joost - basierend auf den Inhalten der traumapädagogischen Ausbildung am IINTP (Freies Internationales Institut für Notfall- und Traumapädagogik) in Karlsruhe. Fotos, Graphiken: IINTP, Martin Straube, Jörg Spanjer (profero medien agentur & verlag)